Ehe ich das Manuskript abgebe, gilt es, noch ein Samenkorn hineinzupflanzen, aus dem Band 2 entstehen könnte. So eine Buchreihe, das ist wie ein Garten. Ein Detail oder Wesen befruchtet das andere, fördert das Wachstum und führt zu überraschenden Farbklecksen. Wurzeln geraten hierhin und dorthin und plötzlich blüht in einer Ritze etwas, das man ganz woanders vermutet hatte. Aber am Ende gibt es ein Ganzes.
Wenn ich in meinem Elternhaus schreibe, weil ich bei meiner 95jährigen Mutter bin, dann stets unter den gestrengen Blicken meiner Vorfahren. Ich frage mich, was sie wohl von meiner Arbeit halten. Die Zeiten, in denen man der Meinung war, Romane lesen würde Frauen das Hirn vernebeln, sie schwach und süchtig machen, sind noch gar nicht so lange her. Andererseits sind meine Ahnen eine sehr bunte Mischung. Ich vermute, ihre Standpunkte wären ebenso vielfältig. Darunter war ein verurteilter Mörder, der seinen Nachbarn im Streit um eine Kuh mit der Mistgabel erstach. Ein junger Bursche, der mit wenigen Talern in der Tasche sein Glück in der Ferne suchte und eine Käsefabrik aus dem Boden stampfte. Auch eine begnadete Malerin gab es, die ihrer Kunst wegen ihre Kinder ignorierte. Einen Hofkantor, der ein Buch über die Flora Weimars schrieb und einen kaiserlichen Fasanenjäger. Die Geliebte eines Grafen, einen Schüler Luthers und einen Herrn, der sein Ostpreußisches Gut versoff und verspielte lange bevor es im Krieg verloren gegangen wäre. Wahrscheinlich fänden sie die heutigen Zeiten eher langweilig. Wer weiß? Dennoch scheinen mir ihre Blicke jedes Mal zu sagen: „Streng dich an! Es fällt einem nichts in den Schoß. Du hast es leichter als wir alle.“
Noch nicht 5 vor 12 beim Abgabetermin, aber bald. Es ist alles im Plan. Ich bin fast fertig mit der ersten Überarbeitung des Manuskripts für Band 1 der nagelneuen Reihe. Diese Überarbeitung ist bei aller nötigen Konzentration manchmal das Schönste und sehr spannend für mich. Dann gilt es, Glanz und Wärme in den Text zu bringen, Unebenheiten aufzuspüren und lose Enden zu verknüpfen. Und ich kann noch einmal viel Zeit mit meinen neuen Freunden verbringen, ehe ich sie loslassen muss.
Grau war es heute über Brandenburg, und nicht nur heute. Aber wir haben uns aufgeschwungen, raus aus der Stadt, frische Luft tanken, warum nicht auch im Nebel. Kalt war es aber, sehr, an den Füßen und Händen und der Nase. Und dann doch ein gewaltiges, unerwartetes Erlebnis: Eine Musik wie aus dem Nichts, mit einem geheimnisvollen Echo in der feuchten Luft, dann das Rauschen von Schwingen. Unzählige Singschwäne, so noch nie erlebt! Obendrauf dann noch endlose Formationen von Gänsen, die es auf dieselben Rastplätze abgesehen hatten. Ein Strudel aus Leben, aus Rufen, aus Luftakrobaten, aus Schönheit, Leben pur. Da steht man und staunt, fühlt sich klein, aber groß beschenkt. Unvergeßlich.
Wenn das Jahr neu ist und der Weihnachtsbaum fort, dann kommt unweigerlich der Hunger nach Farben, eine tiefe Sehnsucht. Dann muss mit dem ersten Blumenstrauß die Vorfreude auf den Frühling anmoderiert werden. So weit entfernt ist der nicht. Nur ein erstes Schneeglöckchen weit, einen gelben Winterling, einen blauen Krokus. Ein paar Wochen, höchstens zwei Monate.
Freude über den Schnee, wenn er denn kommt, oder den Frost auf dem See und den Rauhreif an den Zweigen ist trotzdem da. Das ist kein Widerspruch. Beides geht durchaus zugleich. So ist der Mensch. Eine unserer guten und erstaunlichen Fähigkeiten.
Ja, und den letzten Kapiteln des Manuskripts verleihen sie auch Schwung, diese Farben. Sie haben so viel Energie.
Es ist viele, sehr viele Jahre her, seit ich nach einem gewaltigen Gewitter diese Mammatus-Wolken aus einem Fenster der Klinik in Ahrenshoop sah. Ich glaube, es war jener Augenblick in dem ich beschloss, dass ich über diese Landschaft eine Geschichte schreiben muss. Dass dann daraus nicht nur ein Bestseller, sondern eine Trilogie wurde, die ein ganzes Netz von verwobenen Geschichten nach sich zog, konnte ich nicht ansatzweise ahnen.
Also alles wieder einmal ein Geschenk des Himmels. Des weiten Himmels über all den magischen Landschaften hier um uns herum, jene ohne eine menschengemachte Grenze dazwischen. Danke.
So, der Schreibtisch ist zum Jahreswechsel aufgeräumt. Aufgeräumter wird er jedenfalls nicht, ein gewisses Maß an kreativer Unordnung ist etwas Unbedingtes. Das neue Jahr kann kommen, mitsamt neuen Ideen, Fehlstarts, neuer Software, Druckfahnen, Coverentwürfen, Exposés, Recherchen, Diskussionen, Mails, Videokonferenzen, netten Leserbriefen, Rezensionen lesen, ersten Belegexemplaren, endlosen Notizzetteln, Fehlersuchen, Fehler machen, Fehler korrigieren, Namen finden, Figuren einarbeiten, die sich in die Geschichten mogeln wollen, und all diesen aufregenden Dingen, die zum Autorenleben gehören. Ich freu mich drauf. Sehr.
Egal, wie viele Bücher man schon geschrieben hat, es kommen immer wieder einmal Zweifel auf. Die Frage: Ist das überhaupt irgendwie nützlich? Bringt das jemandem etwas? Bewegt man womöglich sogar unbeabsichtigt Menschen zu Entscheidungen, die nicht gut für sie sind? Besonders zwischen den Jahren stecken solche Gedanken den Kopf aus der Zeit. In diesen Tagen, da die letzen Farben vom alten Jahr von Eiskristallen bedeckt werden und Schönheit und Vergänglichkeit so besonders deutlich nahe beieinander sind. Und dann landet ein Leserbrief im virtuellen Postkasten …
Da schreibt eine Leserin, dass sie sich nach einer Trennung neu sortiert, dass sie trotz körperlicher Einschränkung begonnen hat, ihren Garten naturnaher anzulegen, dass sie voller Aufbruchsstimmung, Tatendrang und kreativer Impulse ist und dass ihr die Inselgärtenbücher bei alledem geholfen, Freude und Antrieb geschenkt haben und den Winter leichter machen.
Man hört gar nicht oft, wie es den Geschichten ergeht, die man in die Welt schickt, ins Ungewisse, und was sie dort irgendwo, irgendwann bewirken. Oder ob sie immerhin einfach gut unterhalten.
Das ist auch nicht schlimm, denn das große Abenteuer ist das Schreiben. Und dennoch, wenn solche Rückmeldungen unerwartet hereinschneien wie ein letztes Geschenk des Jahres, das für mich ein unglaubliches, wundersames war, dann macht das Mut.
Ich sitze gerade an den Korrekturen der Druckfahnen vom letzten Band der Inselgärtenreihe, und gleichzeitig an den letzten Kapiteln von Band 1 der neuen Reihe. Und es geht mir jetzt ähnlich jener Leserin. Ich kann es kaum erwarten, Neues zu beginnen. Band 2 zum Beispiel. Dann wird schon beinahe Frühling sein, mit Schneeglöckchen, Krokussen, Buschwindröschen und allem, was folgt. Wieder ein Abenteuer!
Ich wünsche allen ein wunderbares neues Jahr, voller Mut, Impulsen und schönen Überraschungen. Oft sind ja die kleinsten davon die Größten, und so bezaubernd wie ein Eiskristall an Rosen.
Niemand weiß, wie er hierherkam. Allein am Seeufer, zwischen bedecktem Himmel und gefrorener Erde schwebt er und bläst unbeirrt seine Botschaft. Ein etwas schiefes, frohes, lautlos und laut zugleich tönendes Lied von Mut, Hoffnung, Freude, Weihnacht, Licht und Lebensglück. Er ist noch klein und übt noch, aber er gibt nicht auf, egal ob ihm einer zuhört, egal ob die Sonne heute noch scheint. Und man lässt ihn in Frieden, geht staunend und mit einem Lächeln vorbei und nimmt ihn im Herzen mit, den tapferen kleinen Engel, ganz allein am Seeufer zwischen Stadt und Land, zwischen einem alten und einem neuen Jahr, für Dich und mich und uns.