Veröffentlicht in Schreiben

Plotpourri (für Susanne)

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„Schreib diesmal einen Plot“, sagt der Verlag.
„Schreib unbedingt einen Plot“, sagt die Vernunft.
„Ich schreib einen Plot für dich“, sage ich zu meiner Geschichte, die ein Roman werden soll. „Ich nehme auch ein besonders schönes Notizbuch dafür.“
„Ich habe viele Gesichter“, sagt die Geschichte und huscht erregt von einer Ecke in die andere, so dass ich eigentlich ein Schmetterlingsnetz brauche um sie einzufangen, keinen Stift. Nur einen Blick erhasche ich auf sie. Im nächsten Augenblick sieht sie völlig anders aus. Sie spielt mit Licht und Schatten, trägt gerade noch ein buntes Gewand, dann ein blaues. „Ich bin lebendig“, sagt sie. „Du kannst mich nicht in eine Form pressen ehe wir überhaupt angefangen haben. Das lasse ich mir nicht gefallen! Das geht nicht ohne Schäden ab.“
„Ohne Form bist du nichts“, widerspreche ich. „Niemand wird dir mehr als einen Blick widmen. Du bleibst ein flüchtiger Geist, ein Haufen Notizen in einer dunklen Schublade, bestenfalls ein langweiliger, langer Text, der nur Mitleid und Missachtung erntet.“
„Ohne mich bist du auch nichts. Keine Geschichte, kein Autor“, triumphiert mein Gegenüber. „Was fällt dir ein? Ich brauche meine Freiheit! Deine anderen Geschichten hatten sie auch. Gleiches Recht für alle.“ Sie kommt plötzlich hervorgeschossen, packt mich am Kragen und funkelt mich an. Jetzt könnte ich ihr Gesicht sehen, aber nun trägt sie eine Maske. Eine Strumpfmaske wie ein Räuber. Was will sie mir stehlen, meine Autorität? Meine Macht über sie? Als hätte ich die je gehabt. „Ich kann dich auch ganz verlassen!“ zischt sie. „Ich suche mir einen anderen Autor.“
„Das kannst du nicht. Du bist meine Geschichte!“ Jetzt habe ich die Oberhand, denke ich. „Ein anderer Autor würde dir nichts nützen, und das weißt du. Ich bin deine einzige Chance. Sei nicht so engstirnig. Ja, die anderen hatten ihre Freiheit. Aber es ist Zeit für eine neue Herausforderung. Es geht immer noch besser! Stillstand ist Tod. Ich gebe dir die Chance, besser zu werden als die anderen. Lass uns keine Feiglinge sein. Man muss sich an Neues wagen.“
Nun ist sie beleidigt, lässt mich los und verzieht sich schmollend in einen Winkel. Da sagt man, Autoren sind schwierig. Launisch. Kapriziös. Mitnichten. Es sind die Geschichten, nicht die Autoren! Die Autoren sind Dompteure, die wie im Zirkus in der Arena stehen und die Löwen zur Ordnung rufen. Geschichten beißen sich in den Gedanken fest, rauben den Schlaf, springen hin wohin sie wollen und verfolgen einen, anders als die Löwen, sogar unter die Dusche.
„Wir sind aufeinander angewiesen. Stelle dich, anstatt dich zu verstecken, und wir schließen einen Kompromiss“, locke ich sie.
„Eine Geschichte, die ein Kompromiss ist, hat keine Kraft“, protestiert sie. „Keine Lebenskraft. Keine Überzeugungskraft. Kein Strahlen.“
„Stimmt. Aber eine Geschichte ohne Form auch nicht. Sie hat keine Kraft, weil sie zerfließt“, halte ich dagegen.
Schweigen. Sie schmollt.
„Muss ich dir erst mit den Lektoren drohen?“ schiebe ich nach. „Du weißt, sie amputieren gnadenlos. Mit Recht.“
Das macht sie nachdenklich. Sie rollt mit den Augen und zuckt mit den Schultern. Jetzt fühle ich mich veranlasst, sie zu trösten. Und mir Mut zuzureden.
„Wenn wir einen Plot haben müssen wir keine Angst haben uns zu verlieren“, erkläre ich ihr. „Der Plot ist nur der Rahmen. Das Haus, in dem du wohnst. Da drin darfst du machen, was du willst. Fast. Verlassen wir uns doch auf die Hauptfiguren. Myra Webelhuth lässt sich ihre Freiheit ohnehin nicht nehmen. Ylvi Matthis ist eine gestandene Frau, kein Twen wie Carly und Tiryn. Die lassen sich von einem Plot nicht unterkriegen. Sie benutzen ihn, um stark zu werden.“
Die Geschichte seufzt und setzt sich. „Na gut. Wenn Myra aufpasst, wird das schon. Aber spiel dich nicht so auf. Sonst mache ich dir Schwierigkeiten. Ich habe auch meinen Stolz.“
Ich atme auf. Ich glaube, das ist ein Kompromiss.
Aber die Arbeit, diesen verflixten Plot zu schreiben, bleibt mal wieder an mir hängen. Die Geschichte sitzt mit verschränkten Armen am Tisch und sieht mir mit einem schadenfrohen Grinsen zu, wie ich den Stift über der leeren Seite zwirbele.
Na warte.

4 Kommentare zu „Plotpourri (für Susanne)

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